Amuvee: Hier gibt's Hilfe für Alleinerziehende!

Amuvee: Hier gibt's Hilfe für Alleinerziehende!

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Lange überfällig: Zwei Frauen haben ein Start-up gegründet, das alle Hilfen für Single-Eltern übersichtlich bündelt.

Annett-Katrin Wohlgemuth erinnert sich noch genau an den Moment, als sie ihrer Kollegin von der Idee erzählte. Sie konnte die Verblüffung durchs Telefon hören, ein ungläubiges Schnaufen, dann Sigrid Egners Worte: “So was gibt es noch nicht? Wie kann das sein? Es gibt doch seit Jahren das Internet!?”

“So was” – damit meinte Egner eine Plattform für Alleinerziehende, die Unterstützungsangebote übersichtlich listet. Denn ja: Es gibt in Deutschland für Single-Eltern viele Hilfen. Aber keine Stelle, die diese bündelt. Für manches ist das Jobcenter zuständig, für anderes das Jugendamt, drittes wiederum bieten abhängig vom Wohnort ganz unterschiedliche Träger an, etwa eine kostenlose Rechtsberatung für frisch Getrennte oder einen Stammtisch für alleinerziehende Mütter.

“Es sind super viele Köche für eigentlich einen Brei”, sagt Wohlgemuth. Rund 20 Stunden dauert es, um im Netz alle individuell notwendigen Informationen aufzuspüren, das haben die beiden Frauen ausgerechnet. Zeit, die gerade Alleinerziehende im Job-Kinder-Spagat und nach kraftzehrenden und mitunter auch gewaltvollen Trennungen nicht haben. Zudem vorausgesetzt, sie wissen, wonach sie suchen, und beherrschen Behördendeutsch.

So hilft Amuvee Alleinerziehenden

Dass es Alleinerziehenden so schwer gemacht wird, wollten Egner, 59, und Wohlgemuth, 57, nicht länger hinnehmen. 2021 gründeten sie deshalb ein gemeinnütziges Start-up mit dem Herzstück Amuvee – das Wort steht für “alleinerziehende Mütter und Väter engagiert empowern”. Es ist ein Finder im Netz, der Alleinerziehenden auf sie zugeschnittene Leistungen in leicht verständlicher Sprache anzeigt, von der Rechtsberatung für frisch Getrennte bis zum Unterhaltsvorschuss.

Was beinahe banal klingt, wird tatsächlich dringend benötigt. Fast jede fünfte Familie in Deutschland ist eine mit alleinerziehendem Elternteil. 88 Prozent davon sind Mütter. 22 Prozent waren 2019 armutsgefährdet, zum Vergleich: Bei allen Erwerbstätigen waren es nur acht Prozent. Besonders bitter: Viele Single-Eltern sind arm trotz Arbeit, die meisten haben einen oder mehrere Jobs, beinahe jede zweite Mutter arbeitet in Vollzeit oder großer Teilzeit. Trotzdem bezieht jede dritte Ein-Eltern-Familie staatliche Leistungen wie Bürgergeld (Hartz IV) oder Wohngeld.

“Die Darstellung Alleinerziehender ist meist die einer Opferrolle”, sagt Egner. “Wir wollen aber, dass sie ein erfülltes und souveränes Leben führen können”, ergänzt Wohlgemuth. “Dafür ist ein einfacher Zugang zu Hilfsangeboten unerlässlich.”

Der eigene Erfahrungsschatz

Die zwei Frauen, beide arbeiten in Führungspositionen bei der Landesbank Baden-Württemberg, wissen, wovon sie sprechen. Sie waren beide alleinerziehend. Egner war 21 und ihr Baby noch kein Jahr alt, als sie eine gewaltvolle Beziehung beendete. Sie musste ihr Studium abbrechen, zwei Jahre lang lebte sie von Sozialhilfe, eine später geschlossene Ehe zerbrach, als ihre zwei Kinder noch im Kindergarten- und Teenageralter waren. Heute sind beide erwachsen und Sigrid Egner ist bereits Oma. Auch Annett-Katrin Wohlgemuths Kinder sind inzwischen volljährig. Was beide übereinstimmend sagen: Sie wussten zu viele Dinge nicht. Etwa, dass das Jugendamt Unterhaltsansprüche geltend machen kann. Oder dass es spezielle Gesundheitsleistungen für Mütter gibt.

Dass es wohl vielen Alleinerziehenden so geht, zeigt der Erfolg von Amuvee. Mehr als 55 000 Zugriffe verzeichnet der Finder bereits. Die Nutzerinnen erhalten nach der Eingabe einiger weniger Daten, etwa der Zahl ihrer Kinder, binnen Sekunden kostenlos gebündeltes Wissen etwa zu Kindesunterhalt und Kindergeld. Geordnet sind die Infos in den Kategorien Finanzen, Gesundheit, Rechtliches, Sicherheit, Wohnen, Freizeit und Beruf. Links führen zu Anträgen.

“Die Suchenden bleiben anonym, ihre Daten werden nicht gespeichert”, sagt Egner. Ergänzt wird die Suchmaschine von einer Community, für die virtuelle Workshops angeboten werden und in der man sich austauschen kann. Für Karlsruhe, Stuttgart, München und Berlin stehen neben den bundesweiten auch stadtspezifische Angebote für Alleinerziehende im Finder. Weitere Städte mit diesem Extra sind in Planung.

Das Angebot hilft vielen Menschen

Egner und Wohlgemuth selbst verdienen kaum an ihrer Plattform, die Arbeit daran leisten sie größtenteils ehrenamtlich. Das Projekt wird vor allem über Privat- und Unternehmensspenden und Stiftungen finanziert.

Doch nicht nur Getrennte nutzen Amuvee. Gerade erst ließen Egner und Wohlgemuth die Informationen auf Ukrainisch und Russisch übersetzen, um auch Geflüchtete zu erreichen. Und immer wieder hören sie: Auch Frauen, die über eine Trennung nachdenken, klicken die Seite an. “Sie sagen: Ich hätte auch ohne euch die Beziehung beendet”, erzählt Egner. “Aber euer Angebot hat mir sehr geholfen, weil ich in zwei Minuten wusste, was mir und meinen Kindern zusteht.”

Heftbox Brigitte Standard

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