Asexualität: Warum es für asexuelle Menschen noch ein langer Weg zur Akzeptanz ist

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Inzwischen haben viele das Wort Asexualität zumindest schon einmal gehört. Das Problem ist aber, dass die wenigsten verstehen, was die Sexualität für Menschen auf diesem Spektrum bedeutet.

Asexualität ist auch heute noch für viele Menschen ein Fremdbegriff und mit viel Unwissen und Vorurteilen behaftet. Darüber zu reden und aufzuklären, ist deshalb besonders wichtig. Nina Raap und Franziska Hörstgen sind beide asexuell. Sie sprechen in unserem Interview über Vorurteile, Akzeptanz und Diskriminierung, die sie aufgrund ihrer Sexualität bereits erlebt haben. Angefangen mit den ersten Gesprächen mit Eltern und Freund:innen – bis hin zu Fremden beim ersten Date und dem allgemeinen Gefühl, dass etwas mit ihnen nicht stimmt, weil so viele ihre Gefühle damals nicht nachvollziehen konnten.

Asexualität bedeutet, keine oder nur teilweise sexuelle Anziehung zu verspüren. Der Gegensatz hierzu ist Allosexualität, was Personen beschreibt, die nicht in das asexuelle Spektrum fallen und sexuelle Anziehung verspüren. Für viele asexuelle Menschen, die sich in der Community auch Aces nennen, ist der Weg zur Akzeptanz ihrer Sexualität ein weiter. Nicht nur für die Menschen um sie herum, sondern auch für sich selbst.

Verletzende Reaktionen und Unverständnis

Gerade in der Familie kann das Coming-Out als asexuelle Person zu verletzenden Äußerungen führen. Es wird nicht selten beispielsweise von den Eltern oder Geschwistern heruntergespielt. Auf ihr Coming-Out als Asexuelle hört Franziska von ihrem Vater beispielsweise den Satz: “Ach, du hast nur noch nicht den Richtigen gefunden.” – und ihr Bruder sagt ihr scherzhaft, dass sie schon immer ein bisschen komisch gewesen sei, aber: “Jetzt wissen wir, woran es liegt“.

Beide meinen das, was sie sagen, natürlich gut. Für ihren Bruder ist es seine Art, ihr seine Akzeptanz zu zeigen. Für ihren Vater heißt der Spruch damals übersetzt so viel wie: Das passiert schon noch, urteile nicht vorschnell, du bist noch jung – aber eben auch: Ich kann mir nicht vorstellen, dass das deine Sexualität ist. Beide versuchen aber, Franziska dort zu unterstützen, wo sie es können.

Doch zu Beginn wissen sie zu wenig über ihre Sexualität oder den akzeptierenden Umgang mit ihrem Coming-Out. Deshalb reproduzieren sie unbewusst sogenannte Mikroaggressionen, also subtile Demütigungen, die die Identität einer Person infrage stellen sowie deren Relevanz trüben oder mindern. Sie sorgen oft dafür, dass betroffene Menschen ihre Identität anzweifeln und sich immer wieder erklären müssen. Meistens entstehen sie aber nicht aus einer Phobie gegen asexuelle Menschen heraus oder Bosheit, sondern eben aus Unwissenheit.

Die Aussagen ihrer Familie verletzen Franziska damals allerdings trotzdem. Sie fühlt sich nicht verstanden oder ernst genommen. Doch mit der Zeit lernen ihre Familienmitglieder, besser und verständnisvoller auf ihre Sexualität zu reagieren und sie immer mehr, als asexuelle Person zu akzeptieren. Denn das ist oft ein Prozess, der nicht von jetzt auf gleich stattfindet. Bei ihrer Mutter, die zu Beginn ebenfalls mit unpassenden Kommentaren reagiert, sucht Franziska das Gespräch und redet offen mit ihr über ihre Sexualität: “Ich konnte ihr sagen: Das ist alles nichts, wofür du mich oder meinen Freund bemitleiden musst. Das ist einfach, wie ich bin – und bei meiner Mutter habe ich jetzt das Gefühl, dass es gut ist und sie das gelernt hat.” 

“Du bist ja asexuell, masturbierst du auch oder so?”

Häufig stoßen Nina und Franziska auf ungezügelte “Neugier”, wenn sie gegenüber anderen ihre Sexualität ansprechen. Manchmal müssen sie eine halbe Stunde lang Frage und Antwort stehen. Die beiden Ace-Frauen finden, dass das an sich nichts Schlechtes ist: “Ich finde es sogar toll, wenn die Leute einfach wirklich wissen wollen, wie es ist, asexuell zu sein”, meint Nina – ein wenig anders sieht es Franziska und ergänzt: “Das ist natürlich nicht die Normalität, die ich mir wünschen würde. Natürlich wäre es cool zu sagen: ‘Hey, ich bin Ace.‘ – und die Antwort zu bekommen: ‘Cool, okay.‘ Und mit der Konversation einfach weiterzumachen.”

Manchmal sind die allerersten Worte von Fremden mehr als unangebracht. Die Frage: “Du bist ja asexuell, masturbierst du auch oder so?”, wurde Nina beispielsweise sogar schon beim Daten gestellt. Sie selbst sei, was solche Gespräche angeht, sehr locker, sagt sie. Anderen könnten intime Fragen wie diese allerdings durchaus unangenehm sein – immerhin wäre das bei den meisten allosexuellen Personen beim ersten Treffen sicherlich genauso. Wer wird schon beim ersten Date gefragt, wie es denn mit dem Masturbieren so klappt?

“Manchmal denke ich mir dann: Okay. Wie wäre es mit einem Hi oder so?‘”, erklärt die 21-Jährige. Asexuelle sind generell nämlich nicht dazu da, für andere das persönliche Lexikon über Intimität im Spektrum zu spielen. Beide fänden es daher schön, wenn es öfter anders ablaufen würde und Leute anderen Sexualitäten gegenüber offener entgegenstehen würden. Nach dem Motto: “Seid offen für die Informationen, die wir euch geben, seid offen, euch aber auch Mal selbst zu informieren. Denn es gibt viele Informationen zu dem Thema”, fasst es Franziska zusammen.

Ein Freundeskreis, der sie nimmt, wie sie sind

Erfahrungen wie diese haben dazu geführt, dass die beiden Frauen vorsichtiger im Umgang mit neuen Menschen geworden sind. Wenn es um das Knüpfen von Kontakten geht, sind sie daher öfter in der LGBTIQ+-Community unterwegs, in der viele Menschen ihrer Sexualität gegenüber offener sind. Doch auch in queeren Treffs stoßen sie teilweise auf Widerstand, da auch dort nicht alle Menschen das fehlende Verlangen nach Sex als Teil der eigenen Identität akzeptieren.

Inzwischen sei es aber einfacher geworden, fremde Personen einzuschätzen, erklärt Nina: “Ich muss sagen, mit der Zeit wurde die Akzeptanz sichtbarer für mich. Ich suche mir bewusst Leute aus, bei denen ich mir sicher sein kann, dass sie mich nicht verurteilen, wenn ich ihnen sage, dass ich Ace bin.“ Im Grunde geht es also darum, die Menschen so zu nehmen, wie sie sind und nicht die eigenen Bedürfnisse auf andere zu projizieren. Für Nina und Franziska ist es schließlich auch vollkommen OK, dass ihre Freund:innen Sex haben und sie versuchen sie nicht davon zu überzeugen, dass andere Dinge schöner, besser oder unverzichtbar, sind – egal ob sie das nun selbst so sehen oder eben nicht. Sie akzeptieren die allosexuellen, pansexuellen oder aromantischen Ausprägungen in ihrem Freundeskreis, ohne über deren Lebensweisen zu urteilen.

Support muss kein großer Akt sein

Akzeptanz würden sich Nina und Franziska generell für Menschen des asexuellen Spektrums wünschen. Denn um Support zu zeigen, müssten Menschen nicht gleich große Reden auf dem CSD schwingen, so Nina. Stattdessen reiche meistens schon ein spürbarer Raum an Akzeptanz aus und das habe sie in den vergangenen Jahren zum Glück oft erfahren dürfen. Mit ihrem Partner, aber auch unter Freund:innen. Wer Sex haben möchte, der:die kann ihn gerne haben und wer nicht, der:die eben nicht. Ganz generell sei es aber wichtig, gegenüber Menschen der Community und auch bei anderen queeren Menschen Unterstützung zu zeigen, so die 21-Jährige. Nicht nur auf Events, sondern auch im Alltag müssten Menschen sich deshalb aktiv für Gleichberechtigung und gegen Intoleranz und Queerenhass einsetzen.

Über Sex reden – ja oder nein?

Nina und Franziska reden gerne mit ihren Freund:innen über deren Sexleben. Sie sind interessiert an dem Thema, freuen sich für die anderen darüber, dass sie Spaß an Sex haben und sie mit in ihre Erfahrungen einbeziehen. Teilweise informieren sich die beiden asexuellen Frauen sogar selbst über das Thema, einfach aus reinem Interesse.

Das ist aber nicht bei allen Asexuellen so. Manche Aces reden nicht gerne über Sex und haben keinerlei sexuelle Aktivitäten, – wieder andere gehen sexuelle Aktivitäten hin und wieder für ihre:n Partner:in ein, um dieser:diesem eine Freude zu machen und wieder andere haben zwar keinen Sex, aber dafür einen Fetisch, der ihnen Spaß macht. Denn das asexuelle Spektrum ist unfassbar vielseitig und nicht jede Ace-Person ist gleich.

Mehr Offenheit statt alter Werte

Viele Menschen sehen nur ihre eigene sexuelle Identität und beschäftigen sich nicht mit den Sexualitäten anderer. Gerade Allosexualität ist für viele die Norm und das, was sie auch von anderen erwarten. Nina hofft, dass sich die Gesellschaft in dieser Hinsicht in den kommenden Jahren verbessert: “Generell wünsche ich mir von der Zukunft, dass asexuelle Menschen wie Menschen behandelt werden und man sie nicht einschränkt oder als etwas Minderes ansieht, bloß weil sie das Eine nicht haben wollen”, erklärt sie. Franziska kann sich dem nur anschließen. Ihr Appell an allosexuelle Menschen ist: “Bleibt neugierig und offen für Neues. Denn wir können in der Gesellschaft nur akzeptiert werden, wenn die Gesellschaft bereit ist, sich mit uns zu beschäftigen.” Mehr Offenheit, mehr Aufklärung und mehr Normalisierung des “anders seins”, sei, was sie sich wünschen – und was vermutlich vielen Menschen auf der Welt, die sich nicht verstehen oder verstanden fühlen, guttun würde.

Infobox: A_Sexualität

Verwendete Quellen: Aktivista, Asexuality.org, Funk

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