Ganz ruhig: Wie wir liebevoll kommunizieren – auch wenn wir vor Wut platzen

Ganz ruhig: Wie wir liebevoll kommunizieren – auch wenn wir vor Wut platzen

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Gerade wenn wir wütend sind, ist eine einfühlsame Kommunikation alles andere als einfach. Eine Paartherapeutin gibt Tipps, wie es trotzdem funktionieren kann.

Konflikte gibt es immer wieder. Das ist eine unumstößliche Tatsache, und leider ist es Konflikten auch ziemlich egal, ob die Menschen, zwischen denen sie entstehen, harmoniebedürftig oder konfliktscheu sind, oder ob diese gerade die Energie und die mentale Kapazität haben.

Konflikte gibt es auch in jeder Beziehung, ob platonisch oder romantisch und unabhängig davon, wie glücklich beide Parteien grundsätzlich miteinander sind. Und genauso unabhängig davon, wie ruhig, respektvoll und gelassen Menschen normalerweise in ihrem Umgang miteinander sind, kann ein Streit das Schlimmste in uns allen hervorholen. Wenn es richtig destruktiv wird, werden wir persönlich, unfair, gemein.

Doch man kann lernen, Konflikten liebevoll zu begegnen – das ist nicht einfach, und klappen tut es sowieso nicht immer, da sollte sich niemand etwas vormachen. Aber es kann helfen, bestimmte Hinweise zu verinnerlichen.

Gewaltfreie Kommunikation funktioniert nicht immer

“Ich fühle … wenn du … und ich brauche von dir …” – vielleicht kommt dir diese Formel bekannt vor. Es handelt sich um ein von dem Psychologen Marshall B. Rosenberg entwickeltes Konzept der Gewaltfreien Kommunikation (GFK, aus dem Englischen “Nonviolent Communication”, NVC).

Ein Beispiel: In der Küche hast du dreckiges Geschirr deines:deiner Partners:Partnerin vorgefunden – nicht zum ersten Mal. Du könntest nun natürlich sehr destruktiv mit der Situation umgehen, deine:n Partner:in anschreien und ihm:ihr vorwerfen, ein schlampiger, rücksichtsloser Tölpel zu sein, mit dem ein Zusammenleben die absolute Katastrophe ist. Du könntest ihm:ihr an den Kopf werfen, dass er:sie sich nicht um deine Bedürfnisse schert.

Nur: Damit wirst du nicht viel erreichen. Die Gewaltfreie Kommunikation nach Rosenberg arbeitet mit Ich-Botschaften und appelliert an die Empathie der Mitmenschen: Du äußerst deine Beobachtung (“Ich habe festgestellt, dass du dein Geschirr in der letzten Zeit nicht abspülst und es in der Küche abstellst. Ich habe es abgespült, nachdem es einen Tag lang herumstand.”), die Emotion und das damit verbundene Bedürfnis (“Ich bin frustriert, weil ich es gern ordentlich mag. Das hilft mir dabei, zu entspannen.”) und zuletzt eine konkrete Bitte (“Sage mir bitte, ob du bereit bist, dein Geschirr zukünftig direkt nach dem Essen abzuspülen, oder lass uns gemeinsam einen Weg finden, wie unsere beiden Bedürfnisse nach Ordnung erfüllt werden können.”)

Das Problem hierbei: Es ist ein Konzept, und manchmal sind Konzepte recht weit von der Realität entfernt. In der Realität, in einem stressigen Alltag, an einem schlechten Tag, gelingt es uns nicht immer, derart klar auf unsere Bedürfnisse zu sehen, so ruhig, entschieden und dabei respektvoll zu kommunizieren. Es gibt Tage, da platzen wir innerlich vor Wut, und da ist der Teller mit verkrustetem Resteessen der berühmte Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringt. Wie also reagieren? Wie können wir achtsamer kommunizieren, selbst in Momenten der großen inneren Erregung?

In 4 Schritten zu einer einfühlsameren Kommunikation 

Paartherapeutin Michelle Becker weiß darum, dass unsere Beziehungen die Quelle für viel Freude und Erfüllung sein können – genau wie ein Ort der Zwietracht und der Frustration. In ihrem Artikel im “Greater Good Magazine” nennt die Psychologin vier wichtige Schritte für eine einfühlsame Kommunikation.

  • Sei achtsam: Versuche, aus der Reaktivität herauszukommen. Wenn du zum Beispiel nach Hause kommst und besagtes dreckiges Geschirr vorfindest, achte darauf, nicht sogleich wütend auf deine:n Partner:in zuzustürmen und deinen Frust zu äußern. Stattdessen kann es helfen, sich zunächst auf sich und den Moment zu konzentrieren. 

    Wechsle den Raum oder schließ die Augen, konzentriere dich auf deine Atmung und versuche, dich auf dich selbst, deinen Körper, das Hier und Jetzt zu konzentrieren. Sage dir selbst (laut oder in deinen Gedanken): “Ich weiß, dass du verärgert bist, und du hast jedes Recht, verärgert zu sein. Aber jetzt kümmern wir uns erst einmal um dich.”

  • Zeige Mitgefühl mit dir selbst: Im nächsten Schritt konzentrieren wir uns auf unsere Emotionen. Was ist das Gefühl, das in dieser Situation in uns ausgelöst wird? Woher kommt es, und was ist es, das wir gerade brauchen? Hierbei kann es helfen, sich vorzustellen, was wir einem befreundeten Menschen sagen würden, der in unserer Situation ist, und zu versuchen, uns diese Dinge selbst zu sagen. “Ich höre dich, ich sehe dich. Ich bleibe bei dir, und wir schaffen das gemeinsam”, sind Worte, die uns auch selbst guttun.
  • Mitgefühl mit der anderen Person: Nun, nachdem wir uns selbst gegenüber Mitgefühl gezeigt haben, widmen wir uns der Verletzlichkeit der anderen Person. Kann es vielleicht sein, dass wir nicht die ganze Geschichte kennen? War unser:e Partner:in vielleicht mal ordentlicher? Geht es dem Menschen gerade nicht gut, ist alles zu viel, zu anstrengend, überwältigend?
  • Unsere eigenen Werte wieder in den Vordergrund rücken: Wie möchten wir unsere Beziehung führen? Wie möchten wir miteinander kommunizieren? Wenn wir uns diese Fragen stellen, dann entscheiden wir uns auch bewusster für die Art und Weise, wie wir mit unseren Mitmenschen sprechen. 

In der Essenz geht es darum, sich aus der Situation herauszunehmen, nicht instinktiv und emotionsgetrieben zu reagieren, sondern durchzuatmen, zu reflektieren, sich und die andere Person zu betrachten und erst danach in die Kommunikation zu gehen. Dann kann es uns auch gelingen, mit Wut im Bauch noch liebevoll zu kommunizieren.

Verwendete Quellen: psychologytoday.com, de.wikipedia.org, greatergood.berkeley.edu

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