Machtmissbrauch in der Politik: "Diese Leute sind aufgrund ihrer Position unantastbar"

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Daniela wurde als jüngste Stadträtin von ihren Fraktionskollegen nicht nur belächelt, sie erlebte auch sexuelle Übergriffe und Drohungen. Nach sieben Jahren zog sie sich aus der Politik zurück. 

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Mit 32 wurde ich in meiner Stadt zur Stadträtin gewählt. Die meisten meiner Fraktionskollegen waren ältere Herren, die schon in Rente waren. Eines Tages hieß es: Wir brauchen noch eine Frau, die zur Wahl antritt. Sie schoben mich in einen Ortsteil ab, von dem sie dachten, da hat die eh keine Chance. Doch dann wurde ich völlig überraschend gewählt. Ich war so optimistisch und dachte, jetzt kann ich endlich was für die Familien bewegen, denen es nicht so gutgeht! Aber man teilte meine Freude nicht, stattdessen wurde ich sofort auf den Boden der Tatsachen geholt: Man unterstellte mir, dass ich extra Werbung für mich gemacht hätte, dabei hatte ich wie alle nur Flyer verteilt.

Ich dachte immer, die Bundespolitik sei schlimm, aber es fängt schon in der Kommunalpolitik an. Mein Plan war, in der Stadt einen Kinder- und Jugendbeauftragten zu installieren. Ich musste aber feststellen, dass das politisch überhaupt nicht erwünscht war. Ich wurde beschuldigt, dass ich das nur für mich tun wolle, um mir selbst den Posten anzueignen. Ich wurde nicht ernst genommen, sondern verurteilt und belächelt. Die Männer in der Fraktion waren in der Überzahl und viele von ihnen schon sehr lange dabei. Sie hielten an ihrer Macht fest und ließen sich nicht reinreden. Als ich nicht aufhörte, unangenehme Fragen zu stellen und nicht nach der Pfeife meines Fraktionsvorsitzenden tanzen wollte, wurde ich nach vier Jahren vor die Entscheidung gestellt: Mund halten oder zurücktreten.

Das habe ich nicht getan. Doch in meinen fünf Jahren in der Politik musste ich ganz schön viel einstecken, nicht nur politisch. Ich musste mir auch sexuelle Übergriffe durch einen Fraktionskollegen gefallen lassen. In aller Öffentlichkeit hat er wiederholt versucht, mich zu küssen, er hat mich bei Veranstaltungen angegrabscht und angefasst, auch von hinten. Im Rahmen eines Stadtfests stand er schließlich bei mir in der Wohnung und zog sich die Hose runter. Ich war absolut schockiert und wusste nicht, wie ich reagieren sollte. Ich sagte nur, jeden Moment können mein Mann oder meine Kinder nach Hause kommen, bitte zieh deine Hose hoch!

Später sagte ich ihm, wenn du nicht damit aufhörst, stelle ich dich bloß. Ich habe zunächst mit einigen Frauen über sein Verhalten gesprochen, aber sie wiegelten ab. “Ach, du weißt doch, wie er ist“, lautete die Entschuldigung. Ich habe dann auch einem Fraktionskollegen davon erzählt, aber er war ein guter Freund von ihm, und alles wurde unter den Teppich gekehrt. Man drohte mir sogar: “Überleg dir, ob du zur Polizei gehst, und was das für dich und deine Familie bedeuten würde.“ Diese Leute sind aufgrund ihrer Position unantastbar und ich hatte keinerlei Rückhalt. Im Gegenteil: Ich wurde jetzt bei jedem meiner Vorschläge noch mehr niedergemacht und noch weniger ernst genommen.

Das alles hat mich in meinen Grundfesten erschüttert. Mir hat der Rückhalt aus der Partei und meiner Fraktion gefehlt. Ich hatte mit Schutz gerechnet, aber selbst von den anderen weiblichen Mitgliedern kam keine Reaktion. Deshalb habe ich mich aus der Politik zurückgezogen. 

Heute bin ich Coachin und mache selbstständig Familienberatungen. Ich bin froh darüber, nun an der Basis zu kämpfen und direkt zu den Familien gehen zu können, die es wirklich brauchen. Doch ich habe auch viel dazugelernt in den Jahren. Heute würde ich mich nicht mehr einschüchtern lassen. Nach so einem Vorfall wie bei mir Zuhause würde ich umgehend zur Polizei gehen. Und ich möchte allen Frauen sagen, dass sie sich nichts gefallen lassen müssen!

Das sagt Prof. Dr. Fatma Çelik

Fatma Çelik
Prof. Dr. Fatma Çelik ist Diplom-Psychologin, Forschende zu Psychologie und (sexueller) Gewalt über die Lebensspanne und Lehrende an der Hochschule Düsseldorf.
© Thomas Neitsch

Prof. Dr. Fatma Çelik ist Psychologin und forscht unter anderem zu Gewalt über die Lebensspanne. Sie hilft uns, die Erfahrungen einzuordnen – um Machtstrukturen sichtbar zu machen. Hier richtet sie ein Vorwort an die Leser:innen.

Wo greifen hier Machtstrukturen?

Prof. Dr. Fatma Çelik: Die von der Betroffenen geschilderten Situationen deuten sowohl auf Tabuisierungsstrukturen, als auch auf Patriarchale Macht-Strukturen und strukturelle Diskriminierung von Frauen hin (z.B. Hunnicutt, 2009). Patriarchale Machtstrukturen greifen hier über Stereotypisierungen gegenüber der weiblichen Rolle, diese können aktiv und bewusst aber eben auch unbewusst ablaufen. Der Satz „Wir brauchen noch eine Frau die antritt“, ob er nun so klar formuliert wurde oder im Subtext mitgeschwungen ist, deutet bereits auf ein grundsätzliches Problem hin. Es wurde an verschiedenen Stellen lange über die „Frauenquote“ im Arbeitskontext gesprochen. Dabei gibt es Positionen dagegen und dafür. Das Fallbeispiel, so wie es die Autorin des Textes beschreibt, zeigt, dass selbst bei einer solchen Quotierungen Barrieren weiter bestehen und aktiv aufrechterhalten werden können. Hier zum einen durch fehlenden kollegialen Rückhalt im beruflichen Kontext und das vermeintliche Absprechen von Kompetenzen qua Geschlecht bzw. Gender oder gegebenenfalls auch Alter, da im Fallbeispiel auch der Altersunterschied benannt wird. 

Zum anderen greifen Machtstrukturen aber auch in Form sexueller Grenzüberschreitungen. Sexuelle Übergriffe können u.a. als besonders entwürdigende Machtdemonstration verstanden werden. Dieser Zusammenhang zeigt sich in fatalster Weise im Rahmen von systematischen Vergewaltigungen im Kontext von Kriegsverbrechen. 

Der fehlende Rückhalt der weiblichen Kolleginnen, könnte teilweise über das empirisch weniger geprüfte Konzept des „introjizierten Patriarchats“ erläutert werden. Gemeint ist bei diese aus der Tiefenpsychologie entlehnten Begriff, dass in diesem Falle, sich als Frauen identifizierende Personen durch ihre Sozialisation in patriarchalen Strukturen genau diese Strukturen mit in ihre Identitätsentwicklung aufnehmen und normalisieren. Demnach blicken Frauen gemäß dieser Idee auf sich selbst aus der stereotypen als männlich konstruierten Geschlechtsrolle – womit dann das übergriffige, diskriminierende Verhalten normalisiert wird.

Der soziale Einfluss von Macht zeigt sich hier über Konformität bzw. Konformitätsdruck, also die Tendenz, mit sozialen Normen einer Bezugsgruppe übereinzustimmen (Bierhoff, 2022).

Wie kann die Betroffene mit der Erfahrung umgehen? 

Die Betroffene hat sich Verbündete gesucht und verschiedene Personen um Hilfe gebeten, aber wurde hier leider gemäß ihrem Bericht nicht ernst genommen. Inwiefern auch der Partner als Ressource mit einbezogen wurde, geht aus der Schilderung nicht hervor. Diesen mitzunehmen, zu informieren, wäre gegebenenfalls auf persönlicher Ebene ebenfalls hilfreich gewesen und könnte es auch heute zur weiteren Verarbeitung sein. Weiterhin wäre auch die Frage, inwiefern es zu den geschilderten Zeitpunkten Wissen und auch Wege zu weiteren möglichen Verbündeten wie Vereine, Gleichstellungsbeaufragte, Anti-Diskriminierungsstellen usw. gab.  Die #Me-too Debatte hat aufgezeigt, wie viele Betroffene es gibt und wie hoch Barrieren bei der Hilfesuche sind. Es ist wichtig, auch über diese Debatte hinaus über hoch tabuisierte Themen, wie sexuelle Übergriffe oder andere Diskriminierungsformen zu sprechen und Anlaufstellen anonym und kostenfrei zu etablieren. 

Was müsste sich in unserer Gesellschaft verändern, damit so etwas nicht mehr passiert?

Ein erster wichtiger Schritt ist es, keine Normalisierungen mehr von übergriffigem Verhalten zuzulassen – “Ach, du weißt doch, wie er ist, lautete die Entschuldigung”, schreibt die Betroffene. Vielleicht hilft hierbei ein Perspektivwechsel: Würden wir in diesem Fall über Diebstahl oder Körperverletzung sprechen, wären wir uns gesellschaftlich sehr schnell einig, dass “So ist die Person eben” als Entschuldigung nicht gilt. Die wirklich spannende Frage, die wir uns alle selbst und auch anderen stellen sollten, ist doch: Wo lasse ich Entschuldigung wie diese gelten und bei wem? Möglicherweise wird man dabei auf intersektionale Diskriminierungsstrukturen im eigenen Werte- und Normensystem stoßen, die gerne hinterfragt werden dürfen. Was “darf” eine reiche Person, was eine “arme” Person nicht darf? (Klassismus) Was “darf” eine Person, die der Majorität angehört, was eine Person, die der Minorität angehört? (Rassismus) Was “darf” eine als stereotyp männlich gelabelte Person, was eine stereotyp weiblich gelabelte Person? (Sexismus) 

Es braucht ein gesellschaftliches Umdenken, ein Erkennen von Diskriminierungsstrukturen, um dann adäquat eingreifen zu können. Dies kann nur durch Aufklärung einerseits und durch die Installation von überparteilichen Anlaufstellen geschehen, welche Betroffene unterstützen und beraten.

 

Source: Aktue