Oskar Holzberg: Warum Liebe sich wie eine Schlacht anfühlen kann

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In der Kolumne unseres Paartherapeuten Oskar Holzberg dreht sich alles um typische Liebesweisheiten und ihren Wahrheitsgehalt, er seziert Sprichwörter, Songtexte und berühmte Zitate. Diesmal: “Liebe ist eine Schlacht. Liebe ist Krieg. Liebe ist ein Erwachsenwerden.” – James Baldwin, US-amerikanischer Schriftsteller.

Kurz gesagt: Wir kämpfen miteinander, aber erwachsener werden wir nur durch Friedenschließen.

Jetzt mal ausführlich: Anton liebte Claudia. Seit einem Jahr. Aber Anton liebte auch Pornos und Musik. Seit vielen Jahren. Anton wollte eine Zukunft mit Claudia, sie zogen zusammen, dachten an Kinder. Aber Anton dachte noch mehr an Pornos und Musik. Claudia wünschte sich mehr Sex, mehr Zeit mit ihm. Anton hatte weiter Sex am Bildschirm und verbrachte seine Zeit im Übungsraum. Claudia begann zu kämpfen, sie drohte, die Beziehung zu beenden. Anton kämpfte um Verständnis. Die Pornostars wären ihm schon so lange vertraut, und seine neue Band könnte endlich den Durchbruch schaffen. Claudia gab nicht auf. Sie hoffte, dass Anton einen ganz anderen Durchbruch schaffen könnte. Den zum Erwachsenwerden.

In unseren Liebesbeziehungen werden wir mit der Welt eines anderen Menschen konfrontiert, der andere Erfahrungen gemacht hat, anders denkt und anders fühlt. Wir machen aus zwei Leben eins. Damit sind wir unserer Kindheit und Jugend entwachsen. Aber erwachsen sind wir noch lange nicht, denn erwachsen werden ist ein unendlicher Prozess. Anton schlägt gerade seine erste Schlacht gegen seine Sucht und seine pubertären Träume von Goldenen Schallplatten und Grammy-Awards. Er steht im Startblock, um erwachsener zu werden, für die Auseinandersetzungen mit einem anderen Menschen um Lebensstil und das sich einlassen auf eben diesen Menschen.

Wozu wir “Krieg” führen

Irgendwann ist das gemeinsame Sofa gekauft und klar, wie die Feiertage zusammen begangen werden. Aber wir ringen weiter. Denn wir suchen die Anerkennung des Partners, der Partnerin, dafür, wer wir sind, wer wir sein wollen. “Du verstehst mich nicht richtig!” – “Wie siehst du mich eigentlich?” Wir führen “Krieg” um falsch und richtig. Und entweder verlieren wir, weil sich einer von uns durchsetzt. Oder aber wir gewinnen beide, weil wir unsere Unterschiedlichkeit anerkennen und den Traum von der Verschmelzung und dem “richtigen” Leben aufgeben: Indem wir immer wieder aufeinander zugehen, immer wieder schwierige Gefühle verhandeln, immer wieder Konflikte riskieren und lernen, sie auszutragen.

Aber die “Schlacht”, in der wir wirklich erwachsener werden, ist noch eine andere. Der Psychoanalytiker Otto Kernberg sagte, dass jedes Paar zu sechst im Bett liegt: Mein und dein Ich, mein und dein Ideal-Ich – also die, die wir glauben sein zu müssen –, und dazu jene imaginären idealen Liebhaber, die in unserer Fantasie so bedrohlich sind, weil sie dich soviel besser lieben könnten, als ich es je schaffen werde. Wir sitzen zu sechst am Küchentisch, gehen zu sechst auf Partys, führen zu sechst Gespräche. Und wir sind “erwachsen”, wenn wir den “Krieg”, den diese Anteile in uns führen, befrieden.

Erwachsener werden wir, je besser wir uns kennen und je mehr wir mit uns einverstanden sind. Wenn ich nicht mehr der oder die ideale Partner:in für dich sein muss und du nicht mehr für mich. Wenn wir unsere Schwächen und Ängste, aber auch unsere Stärken sehen können. Dies ist die Chance, die wir in einer Liebesbeziehung ergreifen können. Wenn wir übernehmen, wie liebevoll und annehmend unser Partner trotz allem Zoff mit uns ist. Weil er oder sie ihr Leben mit uns teilt, sich um uns bemüht. Erst dann nehmen wir wirklich an, liebenswert zu sein und schauen versöhnlich auf uns – ohne dabei aufzugeben, immer weiter lernen zu wollen. Dann ist der “Krieg” erfolgreich, dann lohnt jede Schlacht. Denn erwachsener können wir kaum werden.

Neu in den Partner verlieben: Oskar Holzberg
Oskar Holzberg, 67, berät seit über 20 Jahren in seiner Hamburger Praxis Paare und ist seit über 30 Jahren verheiratet. Sein aktuelles Buch heißt “Neue Schlüsselsätze der Liebe” (240 S., 11 Euro, DuMont).
© Ilona Habben

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Source: Aktue