Psychedelic breath: Breathwork: Was kann die Atemtechnik?

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Atmen ist eine Religion – vielleicht sogar eine Droge? Es gibt jedenfalls Menschen, die ordnen nach einem Breathwork-Kurs ihr Leben neu. Nicole Zepter hat den jüngsten Trend ausprobiert: Psychedelic Breath.

“Da muss was raus”, hatte ich zu meiner Freundin gesagt und auf meinen Brustkorb gezeigt. Ich wollte damit auf all das verweisen, was sich in meinem Körper angesammelt hatte: Druck, Stress, viel zu viele Sorgen. Manchmal war es auch einfach das Gefühl der Schwere der letzten Jahre. Mutter sein, freiberuflich sein, immer wieder die Ärmel hochkrempeln. Mit dieser Aussage hatte ich mich bei meiner Freundin zum “Atmen” angemeldet, denn sie befindet sich gerade in der Ausbildung zur Breathwork-Lehrerin. 

Breathwork ist eine neue Bezeichnung für eine alte Therapieform: das Atmen. Richtig atmen kann Stress abbauen, das Immunsystem stärken und den Blutdruck senken. Unsere Atmung wird – für uns unbewusst – vom vegetativen Nervensystem gesteuert, bei Angst wird sie flacher und schneller, bei Entspannung tiefer. Da wir oft angespannt sind, durch Arbeit, Lärm, Stress, ist unsere Atmung tendenziell zu flach. Wir können sie aber bewusst kontrollieren – der Schlüssel der Breathwork-Therapien. 

Der amerikanische Autor James Nestor (“Breath – Atem”, Piper Verlag) hat nach eigener Aussage mit der Sudarshan-Kriya-Atmung sein Leben neu geordnet. Dabei wird wiederholt langsam ein- und ausgeatmet, es soll Stress abbauen und fokussieren und den Körper reinigen. Hillary Clinton beruhigt sich mit der aus dem Yoga bekannten Wechselatmung, bei der abwechselnd ein Nasenloch zugehalten und der Atem gehalten wird. Der niederländische Extremsportler Wim Hof wird mittlerweile als richtiger Atem-Guru gehandelt, er lässt seine Teilnehmer:innen tiefe, schnelle Atemzüge nehmen, bevor er sie in ein Eisbad schickt. Auf Instagram und Youtube ahmen es ihm die Jünger nach und sitzen nach einem keuchenden “Hu-Ha”-Atem lächelnd im Eisbad. Wim Hof formuliert die Kunst des Breathwork so: “Wenn du deinen Atmen kontrollieren kannst, kannst du auch deinen Verstand kontrollieren.”

Psychedelic Breath entwickelt als Alternative zum LSD-Trip

Ich möchte noch etwas weiter gehen: Ich möchte meinen Verstand loslassen. Die Berliner Yogalehrerin und Psychologin Eva Kaczor hat dazu vor fünf Jahren eine passende Methode entwickelt: Psychedelic Breath. Sie klingt nach dem, was ich erhoffe: Es darf psychedelisch werden, ich möchte mich im Atem verlieren. Mittlerweile gibt es rund 120 Lehrerinnen in Deutschland, die eine Mischung aus schnellen, tiefen Atemzügen, auch holotropes Atmen genannt, und dem Halten des Atems lehren.

Es gibt elf Zyklen, mit denen man sich mehr und mehr in die Tiefen der eigenen Seele atmet. Eine Sitzung dauert 90 Minuten, zu jeder läuft elektronische Musik. Dass es um die Tiefen der Seele geht, hatte ich bereits von einer Freundin gehört, die sich durch das Atmen weitgehend von ihrer Depression befreien konnte. Das hat mich beeindruckt. 

Respekt habe ich aber ein wenig vor dem holotropen Atmen. Es soll einen Zugang zu meinem Bewusstsein schaffen, den ich im alltäglichen Zustand nicht erreiche. Entwickelt wurde es von Psychotherapeut Stanislav Grof, nachdem seine Forschung zu LSD verboten wurde. Es ähnelt dem Hyperventilieren, dabei verringert sich der Anteil von Kohlendioxid im Blut, der pH-Wert des Blutes dagegen steigt. Und vielleicht steigen auch mir dann unbekannte Bilder in meinen Kopf. Ich muss zugeben, so richtig entspannt bin ich vor der Sitzung nicht. 

Die äußere Welt verlassen und in die innere gehen

Schließlich bin ich ein Kontrollfreak, unter anderem auch deswegen käme LSD für mich nicht infrage. Das Beste am Breathwork sei deswegen für mich, hatte meine Freundin noch gesagt, dass ich jederzeit aufhören könne, den Atem verlangsamen und zurückfinden in die Wirklichkeit. Außerdem würden wir im Alltag sowieso viel zu flach atmen, was den Anteil von Sauerstoff und Kohlendioxid in unserem Körper häufig ins Ungleichgewicht bringt und zu Müdigkeit oder, im Gegenteil, zu ungewollter Aufregung führen kann. Und ich könne mich freuen: Das Schönste seien die Pausen, in denen der Atem gehalten wird. “Das ist die Abfahrt”, sagte sie und lächelt. Sie sollte recht behalten. 

Es ist so, dass das Atmen in dieser Form des Breathwork eine Art Eskapismus in sich trägt – obwohl das Wort ja “Atem-Arbeit” bedeutet. Man arbeitet jedoch überhaupt nicht, sondern überlässt alles dem Körper. Man verlässt die äußere Welt, um sich in seine innere hineinzubewegen. Dass das aktuell ein Trend ist, verwundert mich nicht. Die Welt kann jeden Tag durch Social Media oder Nachrichten sehr grell und laut werden. 

An einem Junitag sitze ich deshalb bei meiner Freundin auf der Matte. Sie ist gerade am Ende ihrer Atem-Ausbildung angelangt, dem Teacher-Training, und ich bin ihre vorletzte Probandin. “Also gut”, sage ich und verschränke meine Beine in einen Schneidersitz. Ich werde über die Kontraindikationen aufgeklärt. Schwangerschaft, Bluthoch-druck, Schlaganfall, Epilepsie sind ausgeschlossen. Es kann losgehen. Als ich die Augen schließe und die Musik beginnt, höre ich, wie ihre Stimme sanft meinen Kopf umkreist. Ich bin zu aufgeregt, um wirklich zuzuhören. Aber ich atme. Ein, aus, regelmäßig und immer tiefer. Wir beginnen mit dem ersten Zirkel. 

Immer etwas Neues

Jede Sitzung verbindet sich mit einem Thema, einer Intention, die die Lehrerin mit in die Stunde gibt. Meine Freundin erzählt in dieser Sitzung von Wertschätzung. Von Prägung. Dann sagt sie: „Wenn du an deine Kindheit zurückdenkst, was siehst du intuitiv?“ Ich sehe ein sechsjähriges Mädchen mühelos den Kastanienbaum hochklettern, das Licht schimmert durch die Blätter, ich hangele mich von Ast zu Ast, immer höher. Es ist, als ob ich mit dem Baum verwachsen bin. Ich kann den Wind fühlen und die Feuchtigkeit in der Luft. Meine Freundin sagt: “Du warst furchtlos.” Die Musik wird lauter. Der Satz hallt nach. 

Eva Kaczor erzählt im Interview, dass Breathwork an sich kein Thema brauche, da es hervorbringt, was in uns darauf wartet, “gesehen, gefühlt und manchmal losgelassen zu werden”. Sie habe die Methode aber mit einem variierenden Thema pro Sitzung verknüpft, um das persönliche Wachstum zu inspirieren.

Der Sauerstoffgehalt sinkt, die Trance beginnt

Das Schöne an meinem Zustand nach wenigen Minuten ist die Entspannung. Sie kommt ganz automatisch. Und dann mit Wucht. Die Sauerstoffzufuhr in meinem Gehirn wird verändert, die Gehirnströme werden verlangsamt. Man kommt mit etwas Glück von einem normalen sogenannten Beta-Zustand in einen Alpha-Zustand. Das heißt: Die Gehirnwellen schwingen langsamer, man wird ruhiger, klarer. Für jemanden, der gerne meditiert wie ich, ist das wunderschön.

Ich verliere mich weiter im Atem, vergesse meine Umgebung und bin ganz im Rhythmus der Musik und von Einatmen, Ausatmen, Atmen halten. Das weckt auch die Emotionen, denen ich in dieser Trance gegenüberstehe. Aus den Untiefen meines Körpers kriecht eine Wand aus Trauer hoch, sie ist groß, doch ich kann mich nicht mehr wehren: Ich schluchze wie ein Kind, Tränen fließen, ich verzehre mich in dem Schmerz. Aber ich atme. Ein, aus. Meine Freundin legt ihre Hände auf meine Schultern. Ich atme weiter. Und halte den Atem erneut.

Was dann beginnt, kann ich nur in vagen Bildern wiedergeben. Man verliert sprichwörtlich ein wenig den Verstand: Die bewussten Sinne werden in den Hintergrund gedrängt, dafür entsteht vor dem geistigen Auge eine Art eigene Welt. Ist das der LSD-Effekt? Ich spüre, wie mein Brustkorb sich weitet, und dort, wo der Solarplexus ist, explodiert es förmlich: Ich sehe die Sonne, wie eine wabernde, gelbe Gaswolke. Sie ist stark und schön. Und so ist auch das Gefühl in mir: Da ist eine ungeheure Kraft, die ich lange nicht so gefühlt habe. Vielleicht noch niemals zuvor. Ich bin überwältigt und habe Angst, diese Kraft ganz zuzulassen, und verlangsame den Atem. Es fühlt sich so an, als ob ich den Absprung noch nicht ganz schaffe. 

Der “Magic Touch”

Die Stimme meiner Freundin wird wieder lauter, die Musik ist da und dennoch ist alles ganz entrückt vor meinen geschlossenen Augen. Meine Wangen werden plötzlich kalt und kribbeln. Empfindungen, die auftreten, wenn die Sauerstoffzufuhr im Blut verringert wird. Doch nie fühle ich mich unwohl oder habe Angst. Meine Wirbelsäule wird kalt, ich sehe sie eisblau vor mir. In dem Moment legt meine Freundin ihre Hände auf meinen Rücken. “Magic Touch” nennen es die Atemlehrerinnen.

Ihre Hände sind heiß, viel zu heiß. Ich frage mich warum. Dann wird der Atem langsamer und wir erreichen das Ende des letzten Zyklus. Als ich meine Augen öffne, bin ich nicht erschöpft, sondern entspannt. Ein bisschen fühlt es sich auch so an, als wäre mein Kopf in einem Luftballon. Ich brauche sicher eine Stunde, um wieder in der realen Welt anzukommen. In dieser Zeit bin ich seltsam gelöst. Die Sorgen weit weg.

Das Loslassen kann süchtig machen 

Mittlerweile sind Wochen vergangen. Ich habe mehrmals geatmet, an den ersten großen Trip kam bisher keine Session wieder heran. Aber jede einzelne reicht, um meine Sinne auszuschalten und mit einer Abkürzung nach innen zu gehen. 

Ob es süchtig macht? Ein wenig, ja. Wenn man einmal in den Genuss des Loslassens kommt, möchte man diesen Zustand häufiger erleben. Als ob man sich mit sich selbst verbindet, schneller und tiefer, als ich es mit der Meditation bisher geschafft habe. Ich kann es verstehen, wenn Teilnehmerinnen von einem Ort der Stille erzählen, den sie so noch niemals zuvor in ihrem Leben erleben konnten. Andere berichten von Farben und Formen vor dem geistigen Auge. Manche erleben einfach nur eine tiefe Entspannung. Die Hände meiner Freundin waren übrigens niemals heiß, sie waren kalt, doch mein Körper hat es anders wahrgenommen. Als wäre ich in einer anderen Welt gewesen.

Breathwork ausprobieren?

Eva Kaczor gibt jeden Mittwoch eineLive-Session im Psychedelic Breath über Zoom. Informationen und Anmeldung unter psychedelicbreath.co

Nicole Zepter, 46, ist Autorin und Journalistin. Neben dem neu entdeckten Breathwork schwört sie seit Jahren auf tägliche Meditation, immer morgens.

Heftbox Brigitte Standard

Source: Aktue