Leserin erzählt: Der Narzisst in meinem Bett – und wie ich ihn loswurde

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Das trojanische Pferd in meinem Leben war ein Narzisst, der mich auf manipulative Weise zu seiner Marionette formte, die für fast drei Jahre in ihrem eigenen Ich gefangen war. Wenn ich damals in den Spiegel lächelte, schrie mir mein Innerstes verzweifelt entgegen.

Der Grundstein dafür, dass dieser Mann mich so klein machen konnte, wurde schon in meiner Kindheit gelegt. Ich lernte, immer angepasst und folgsam zu sein, nur nicht aufzufallen und es allen rechtzumachen. Ich war ein wandelndes Oxymoron: Ich wollte nicht wahrgenommen, aber gesehen, bemitleidet, aber nicht für schwach gehalten werden.

Auf charmante Art gab er mir zu verstehen, dass ich falsch bin

Nach Jahren in meiner eigenen Abwärtsspirale und nach meiner Scheidung 2011 trat dieser Mann auf den Plan. Die Gabe des Narzissten ist es, die Schwächen des Gegenübers mit einem Blick auszuloten und gegen es zu verwenden. Er wusste, dass ich keinen Selbstwert hatte und fütterte diesen Teil von mir mit großer Präzision. Auf eine zunächst charmante Art und Weise gab er mir das Gefühl, falsch zu sein und Fehler zu machen.

Demütig entschuldigte ich mich Tag für Tag aufs Neue bei ihm. Zum Beispiel dafür, dass er mich angeschrien hatte, weil er selbst seine Festplatte unabsichtlich gelöscht hatte.

Dafür, dass ich ihm ein Fotoalbum zum Jahrestag geschenkt hatte, was ihm missfiel, weil er mit keinem Geschenk gerechnet hatte.

Dafür, dass ich nach dem Umzug in seine Stadt – völlig verloren und ohne Familie – wieder neu starten musste und ich seine Hilfe brauchte, damit ich mich zurechtfand.

Wenn wir Lebensmittel kauften, sollte ich still hinter ihm hergehen. Ich durfte keine Meinung haben und musste mich entschuldigen, wenn ich krank war. Ich wurde mit Essen bespuckt, weil ich es gewagt hatte, ihn zu fragen, ob es ihm schmeckte. Diverse Gegenstände und verbale Angriffe trafen mich mitten ins Gesicht, wenn ich es wagte, ihn zu einem für ihn ungünstigen Moment anzusprechen.

Abends lag ich oft weinend allein im Bett, weil er es vorzog, auf der Couch zu schlafen. Damit wollte er mein Gefühl der Einsamkeit verstärken. Wenn ich ihn darauf ansprach, ließ er mich bedürftig wirken, indem er mir mitteilte, er würde doch nur auf der Couch nächtigen, weil er mich sonst durch sein Schnarchen wecken würde.

Trotz allem schaffte ich den Absprung nicht

Dennoch schaffte ich den Absprung nicht. Ich hatte Angst, tatsächlich so eine Versagerin zu sein, wie er es mir eingetrichtert hatte. Mein ganzes Verhalten war darauf gedrillt worden, unsichtbar zu sein, demütig und still. Ohne Meinung.

Meine Eltern fragten mich immer wieder, warum ich mir das alles gefallen ließ. Ich hatte damals keine Antwort. Heute weiß ich: Er setzte immer genau so viel Fürsorglichkeit und Zuwendung ein, dass ich – wieder besänftigt – mit Freude hoffte, dass er sich nun ändern würde. Er umschmeichelte mich und fand genau die richtigen Worte, um mir das Gefühl zu geben, er würde mir helfen wollen. So brachte er mich dazu, meine eigene Integrität in Frage zu stellen. Ich entschuldigte sein Verhalten dann zum Beispiel mit Stress in der Arbeit oder einer schweren Kindheit.

Das ist das Grausame am Narzissmus: Man weiß genau, wie falsch alles läuft, aber durch das Einsetzen der richtigen Worte zweifelt man an sich selbst.  

Als ich ihn verlassen wollte, legte er seine Fassade ab

Dann kam der Tag, an dem ich eine neue Arbeit annahm. Durch die Bestätigung meiner Kolleg:innen wurde mir immer mehr bewusst, wie weit ich innerlich schon verschwunden war. Ich hatte mir in meiner Opferrolle auf dem blanken Boden der Realität ein Überlebenslager eingerichtet.

Als dann 2020 im Lockdown auch noch mein Vater unerwartet verstarb, der diesen Mann zutiefst gehasst hatte, wusste ich, dass ich handeln musste. Ich begann, mich aufzurichten und mich seiner Tyrannei zu widersetzen. Ich wollte ihn verlassen.

Ab diesem Zeitpunkt legte er jedwede Fassade ab, die er zuvor noch ab und an getragen hatte. Er ernannte sich nun selbst zum Opfer. Wie könnte er jemals etwas falsch gemacht haben? Wenn ich nicht den Gerichtsbeschluss vor Augen hätte, würde ich die Tatsache, dass er ein GPS-Gerät in mein Auto eingebaut und mich abgehört hatte, als unglaubwürdige Geschichte abtun.

Nachdem er überall auftauchte, wo ich war, und er Gespräche von Telefonaten, die ich im Auto geführt hatte, wortwörtlich wiedergab und mich vor Wut gegen die Wand warf, fasste ich endlich den Mut und ging zur Polizei. Daraufhin drohte er mir, mich komplett zu vernichten.

Ich hatte große Angst und zweifelte jeden einzelnen Tag an meiner Entscheidung. Doch der Richter gab mir in allen Punkten meiner Anschuldigungen recht. Ich konnte endlich gehen, fand eine Wohnung und startete mit meiner Tochter ohne einen Cent neu durch.

Narzissten ändern sich nicht – entweder man geht, oder man geht zugrunde

Wie sehr mich dieser Mann zerstört hatte, merkte ich jedoch erst später. Mir passiert es heute noch gelegentlich, dass ich mich wieder beuge und für mich selbst entschuldige. Der große Unterschied ist nun aber, dass ich es bemerke und das Ruder herumreißen kann.

Es geht weiter: Eure Stimme is… Leserkolumne (1198255)

Ich habe es mir zur Aufgabe gemacht, Frauen (und auch Männern) in solchen Situationen zu helfen. Indem ich über mein Leben schreibe, indem ich Hilfe und ein offenes Ohr anbiete. Narzissten ändern sich nicht – entweder man geht, oder man geht zugrunde. Kein Argument wird greifen, keine Antwort wird die richtige sein. Es geht nur das: schweigen, umdrehen, weggehen und alles hinter sich lassen. Selbstreflexion, Selbstliebe und Selbstwert sind die wichtigsten drei Pfeiler auf dem Weg zu sich selbst.

Die Autorin: Birgit Rappl ist seit 12 Jahren stolze alleinerziehende Mutter. Sie arbeitet am Empfang einer großen Firma, ihre große Leidenschaft ist das Schreiben. Sie hat ein Buch im Selbstverlag bei Amazon veröffentlicht (“Seelenbraub” von Birgit S.) und schreibt ihren Blog mynewlife35.

Source: Aktue